Jaja und die Feuerbowlenzange

Durchblick

    »Jaja blickt durch«

Feuerbowlenzange – so nannte meine Tochter Heinrich Spoerls „Feuerzangenbowle“, als sie noch klein war – klein und artig. Nicht, dass sie heute groß und unartig wäre – nein, das kann man so nicht sagen.

„Doch, isse!“, zischt der kleine Teufel auf meiner linken Schulter.
„Aber lieb!“, wirft der nette Typ auf der anderen ein.
„Ruhe!“, brülle ich. „Ich muss mich konzentrieren!“

Also, klein und lieb war sie. Artig? Na ja …

Noch nicht ganz so wortgewandt wie heute, aber schon damals einfallsreich. Sie brachte Sprüche, die bis heute zünden:

– „Wollen wir einen Film schauen?“, frage ich.
– „Au ja!“
– „Und welchen?“
– „Den, den wir das letzte Mal nicht zu Ende geguckt haben! Der mit dem toten Schauspieler, Max Rühmann!“
– „Der heißt Heinz. Hieß!“
– „Heinz Hieß?“
– „Nein, hieß Heinz!“
– „Komischer Vorname, ‚Hieß Heinz‘. Egal, halt der mit dem Glühwein.“
– „Glühwein? Der heißt Rühmann.“
– „Der Film heißt ‚Rühmann‘?“
– „Was?“
– „Ach nee – Feuerbowlenzange!“

Herrlich, solche Wortverdreher. Schon alte Comedyshows lebten von Kalauern dieser Sorte – vielleicht erinnert ihr euch noch an „Kentucky schreit ficken“:

– „Wollen wir einen Buchen kacken!“
– „Einen Buchen kacken? Moment, ich hole meine scheiße Würze!“

Ein garantierter Lacher.

Zurück zu unserer Tochter: Jaja. So nannte sie sich selbst – Flavia war für kleine Zungen einfach zu kompliziert. Wir wollten ja unbedingt einen besonderen Namen: nicht Schantalle, nicht Dschakeline. Auch nicht Vianne Anouk. Leonie war zu oft gehört. Sollte sich ja nicht gleich der gesamte Sandkasten mit „hier“ melden. Also blieb Flavia. Stark, ungewöhnlich, aber nicht überkandidelt. Dass sie daraus Jaja machte, fanden wir niedlich.

Wie viele Kinder verdrehte sie Wörter. Töchterlein „verbuchselte“ die „Wechstaben“. Oder erfand völlig neue Bezeichnungen:

Bauchnabel wurde zum Nabelbauch.
Ballons hießen Plunts.
Gummibärchen waren Gusen – und sind es bis heute:

„Soll ich was vom Konsum mitbringen?“ – „Gusen!“

Inzwischen steht „Gusen“ auch für Lakritz und alles andere von Haribo. Haribo kennt ihr, oder? Hans Riegel, Bonn. Wäre der Mann aus Zehlendorf gekommen und hätte Gerd Koslowski geheißen, würden wir heute wohl „Gekoze“ naschen. Zum Glück nicht!

Legendär war auch „Brummbrumm“:
„Mamma, brummbrumm!“
Also ab ins Auto, Motor an, eine Runde um den Block. Doch sie quengelte weiter: „Brummbrumm!“
Hunger?
„Ich hab nix dabei“, sagt Mama.
„Gib ihr doch die Brust!“

Das war’s. Stillen = Brummbrumm. Rätsel gelöst.

Solltet also mal ein Kleinkind „brummbrumm“ fordern – ihr wisst jetzt Bescheid.

Leider haben wir viele ihrer Wortschöpfungen vergessen. Man lacht, nimmt sich vor, alles zu notieren – und schwupps, überschreibt das Leben die Festplatte. Besonders eines fehlt mir: Jajas geniale Bezeichnung für „Zeitung“.

Selbst meine Frau, sonst mit fotografischem Gedächtnis gesegnet, muss passen:
„Ja, das war großartig, aber ich komm nicht mehr drauf!“

Na toll. Alles merkt sie sich – nur nicht das.

Seitdem grüble ich bei jeder Zeitung, die ich aufschlage, wie Jaja sie genannt hatte. Ich komme mir vor wie Rüdiger Hoffmann, der im Plattenladen nach einem Lied sucht und nur noch unsauber die Melodie ahnt. Was er hervorkrächzte, klang wie eine Mischung aus Zahnweh und Katzenjammer. Absolut nicht zu identifizieren.

Ähnlich klingt mein Gedächtnisrauschen: verzerrt, bruchstückhaft, ohne Melodie. Man muss wohl Kind sein, um solche Wortschöpfungen hervorzubringen wie damals Töchterlein.

Was tun? In einem verzweifelten Feldversuch postierte ich mich als Zeitungsbote vor einem Kindergarten und hielt den Minis Printmedien unter die Nase:

– „Hier, guck mal, was ist das?“
– „Onkel, das ist die TAZ. Ne ganz linke Journaille, sagt mein Alter.“

Anscheinend haben die Kiddies von heute keinen Sinn mehr für Infantilität. Ich muss wohl oder übel auf meine dräuende Senilität hoffen. Man sagt ja, alte Menschen werden wieder wie Kinder. Vielleicht ergründe ich als Gruftie endlich, wie Jaja „Zeitung“ nannte – falls ich die Frage bis dahin nicht vergessen habe.

Ich sollte es irgendwo notieren. Vielleicht in einem Tagebuch?

Moment mal … da war doch was!

 

Tagebücher zu verkaufen – wie neu!

 

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