Hello world – da bin ich!

Ich bin eine Hausgeburt. Nein, nicht als “Ausgeburt” von irgendwas, das “H” ist nicht stimmlos. Auch wenn unser Familienname, schenkt man meinem Vater Gerárd »Marquis de la« Gottaut Glauben, auf uralten, aber leider verarmten, franzözischen Landadel verweist. Hausgeburt meint auch nicht, dass meine Mutter ein Tiny-Haus aus dem Becken gepresst hat, quasi als neue Heimstätte, weil wir nun zu fünft waren. Hausgeburt heißt, ich wurde zuhause zur Welt gebracht – in der Spellener Straße 33, im elterlichen Schlafzimmer, mitten in der Nacht. Meine Mutter stupste meinen Vater wach, er möge die Hebamme holen, sie fühle so einen Druck im Bauch. “Lass mal ‘nen Pups!”, versuchte er noch, um den nächtlichen Marsch zur Hebamme herumzukommen. Telefon hatte vielleicht einer von 10 Haushalten und Handys waren damals noch Science Fiction.

Dass meine Mutter angesichts der frohen Erwartung einer schmerzhaften Niederkunft ob dieses Anflugs von Humor in entspannte Heiterkeit verfiel, darf bezweifelt werden. Hierzu ist jedenfalls nichts überliefert. Gesichert ist lediglich, dass mein Vater sich kurz darauf in Schlappen auf den Weg machte – im Mantel, den er hastig über den Schlafanzug geworfen hatte. Klingt in der Retrospektive eher nach bedingungsloser Kapitulation denn nach überlegter Strategie. Notabene, es war mitten im Januar, anno ’57. Damals gab’s noch kein Klima, wir hatten noch richtige Winter!

Bei der Geburtshelferin (oder sagt man jetzt Gebärendenhelfende?) wurde er auf das Herzlichste empfangen: ob es sicher schon losgehe, schließlich sei es mitten in der a***kalten Nacht! Wie es denn beim Fruchtwasser aussehe und wie groß die Abstände zwischen den Wehen seien? Ja, Apfelsaft habe man daheim (ha-ha) und der Abstand sei ungefähr so, wobei er mit seinen Händen ungefähr einen halben Meter abmaß. Humor hatte er, mein alter Herr. Leider ist auch über die Reaktion der Hebamme nichts bekannt. Jedenfalls verfügte Vater Gottaut sich umgehend wieder heim zu seiner kreißenden Frau.

Dort wurden erst einmal die zwei schon vorhandenen Söhne zu den Großeltern verfrachtet. Die wohnten glücklicherweise im selben Haus. Die Großeltern. Die Brüder sowieso. Inzwischen war auch die Hebamme eingetroffen. Es folgten Stereotype, wie man sie hinreichend aus Hollywoodfilmen kennt: heißes Wasser und Tücher für Mutter und Kind, Kaffee, Rauchwaren und Alkohol für die Männer. Die warteten mehr oder weniger aufgeregt im Wohnzimmer auf das Klatschen und Schreien.

Dieses Mal hatte mein Vater etwas anderes vor: musste er bei seinen ersten zwei Kindern noch raus aus der Gebärstube, wollte er dieses Mal dabei sein – schließlich erwartete er seine erste Tochter. Zumindest war das seine Hoffnung nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen. Babygucken via Ultraschall gab’s noch nicht, deswegen war damals jede Geburt eine Wundertüte. Für alle, die nicht wissen, was eine Wundertüte war/ist: das ist ein Überraschungs-Ei mit Papier statt Alu und Schokolade. Man erfuhr erst beim Aufreißen, was drin war.

Auf jeden Fall ließ sich Vater Gerhard dieses Mal nicht vertreiben: »Ich bleibe hier, basta!«. Irgendwann riss endlich auch meine Wundertüte, sprich Fruchtblase und ich quetschte mich durch einen viel zu engen Tunnel, der auch eher für deutlich kleinere Objekte gemacht ist. Um irgendwas vor drei erblickte ich das Licht einer 60-Watt-Birne. Nicht als Tochter, was meinen Vater sichtlich enttäuschte. Die Hebamme hielt mich hoch und präsentierte mich stolz dem Vater. Für den ersten Eindruck, sagt man, gibt es keine zweite Chance, er entscheidet! Ob es die Kälte war (das Schlafzimmer hatte keine Heizung) oder der resignierte Blick meines Vaters, als er feststellte “Ooch, schon wieder’n Junge!”, jedenfalls hatte ich die Nase und die Blase voll. Im hohen Bogen taufte ich meinen Erzeuger und knüpfte so mit Vollstrahl ein unverbrüchliches Band zwischen uns.

So viel zum ersten Eindruck. Später behauptete mein Vater gelegentlich (um mich aufzuziehen), ich stamme eigentlich nicht von ihm, sondern von durchziehenden Zigeunern. Irgendwann, mit heranwachsender Souveränität, revanchierte ich mich, (um ihn zurückzutriezen): “Na hoffentlich!”. Und manchmal, ja, manches Mal tröstete mich diese Vorstellung. – Nein, Quatsch, Vater und Sohn standen sich von Anfang an (und das ein Leben lang) besonders nahe. Vielleicht auch gerade deshalb, weil ich mich seit dem ersten Schrei mehr traute als andere.

PS. Ein Tag später wurde, nur ein paar Häuser weiter in Monte Carlo, Caroline von Monaco geboren. Ich als Niedergekommener, sie eine Hochwohlgeborene. Da sieht man mal, wie wichtig die Wahl des Geburtsorts ist. Oder der Zeugung.

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