Der Prinz in Fresh Air

Kinderwagen 1950er

Die Mädels rissen sich um mich, früher. Also schon sehr früher. Nicht zu Zeiten der großen Pickelblüte, wo ich es dringend gebraucht hätte – nein, noch früher. Ich konnte noch nicht mal laufen, da waren sie schon hinter mir her: “Frau Gottaut” oder “Tante Elli,” bettelten sie, “dürfen wir mit dem Kleinen spazierengehen?”  Manchmal durften sie, vor allem meine Cousinen. Ich bekam ein Strickmützchen übergestülpt und wurde verschnürt wie ein Westpaket. Man steckte mich in ein korbgeflochtenes Ungetüm von Kinderwagen und deckte mich zu mit einem großen Federbett, auf dass dem Jungchen bloß nichts passieren würde.

Keine Ahnung, wie ich darunter überleben konnte. Vermutlich nur deswegen, weil man mich alle naselang hervorzerrte, um mich zu duzi-duzi-duzen: “Gott, ist der süß! Ganz die Mama!” – oder ganz der Papa, immer abhängig davon, wem man gerade schmeicheln wollte. Eigentlich sehen für mich Babys nur anderen Babys ähnlich, aber von mir aus. Offensichtlich hatte ich bereits als Säugling ungewöhnlich lange Wimpern, was unsere Nachbarin regelmäßig zu dem Ratschlag veranlasste, meine Mutter solle sie kürzen: “Der arme Kerl sieht ja nix, der muss ja ständig blinzeln!” Wahrscheinlich wollte ich aber nur die korrekte Anmache per Augenzwinkern üben. Ich hatte wohl schon damals ein Faible für das andere Geschlecht. Damals gab es übrigens nur zwei. Mehr konnte man sich nicht leisten, der Krieg war ja noch nicht ganz zwölf Jahre her. Andere Zeiten halt.

Jedenfalls glaube ich mich vage daran erinnern zu können, wie ich im Kinderwagen durch meinen Heimatort geschaukelt wurde. Bettdecke und Korbdach ließen eine Letterbox frei für den Blick auf einen strahlend blauen Himmel. Musste gewirkt haben wie heutzutage ein Großbildfernseher. Solche gab’s zu der Zeit noch nicht und schon gar nicht in Farbe! Ab und erschien ein lächelndes Gesicht und machte eine Ansage – wie die freundlichen Damen im Fernsehen. Im Zehnsekundenrhythmus wurde nämlich kontrolliert, ob ich schlief oder noch atmete. Eine durchaus berechtigte Sorge, bedenkt man den Federbettberg, den man über mir aufgetürmt hatte. Ob ich überhaupt noch da sei – ja wo isser denn?

Was mir dabei spontan auffällt: ein fremdgesteuerter Wagen aus nachwachsendem Rohstoff mit Rundum-Kissenaufprallschutz sowie Ökoantrieb und Sky-TV? Im Jahr 1957! Mehr kann ein Tesla heutzutage auch nicht bieten! Da bin ich mir sicher.

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