Essen bereitete man selber zu. Was heißt »man« – Frau! Meine Mutter kochte gerne und gut! Besonders freuten mein Vater und wir Jungs uns auf ihren Sonntagsbraten: Rindsrouladen mit Soße und Salzkartoffen. Und Rotkohl! Oder Schweineschmorbraten. Anderer Braten, gleiche Beilagen. Dazu gab’s Salat. Kopfsalat, mit einem süßsauren Dressing aus Milch, Zitronensaft, kleingehackten Zwiebeln und etwas Zucker. Die Zitrone musste man langsam einrühren, sonst wurde die Milch griselig. Die Sauce fand ich besonders lecker. So lecker, dass ich zum Schluss das Salatschälchen an den Mund setzte und ausschlürfte. Mein Bruder nicht, der ekelte sich davor. Vor allem vor den Zwiebeln. Und Grünzeug essen? Da könne er ja gleich auf die Wiese und grasen!
Das Fleisch briet meine Mutter samstagabends vor. Die Rouladen wurden auf dem Küchentisch geklopft, ausgelegt und gewürzt. Dann kam reichlich Senf drauf. Wenn ich später versuchte, Mamas Rouladen nachzukochen, bin ich stets gescheitert.
Ich bekam den Geschmack einfach nicht so hin wie sie. Irgendwann kochte ich mit meiner Frau und die tat Senf in einer Menge auf das Fleisch, dass ich Schnappatmung bekam! Wie es sich herausstellte, war es aber genau das, was zum Geschmack gefehlt hatte. Also, mutig Senf drauf geben! Anschließend Streifen von gerauchten weißen Speck rein (grüner Speck), Gewürzgurkenstreifen und Zwiebelstücke, einrollen und zubinden. Meine Mutter nahm immer einen weißen Zwirnsfaden. Den zu entfernen ist zwar etwas mühselig, aber ich mache es heute noch genauso und denke dabei an sie. Anbraten, Deckel drauf und vor sich hin »schmurgeln« lassen. Kochen muss man nicht nur mit der Nase und den Augen, beim Schmoren kommt es auf das Gehör an! Meine Mutter wusste am Geräusch, wann sie Flüssigkeit nachgeben musste. Das hab‘ ich von ihr abgeguckt.
Meine Mutter wuselte in der Küche, wir saßen im Wohnzimmer und schauten Fernsehen. Das ganze Haus duftete schon bald nach dem Braten. Wir schnupperten wie junge Hunde. Trotz Abendbrot knurrten unsere Mägen, bei allen setzte umgehend Speichelfluss ein. Die Gier wurde stetig größer, im gleichen Maße wurde das Fernsehprogramm uninteressanter. Stumm, ohne dass es einer Absprache bedurft hätte, verfügten wir uns in die Küche, um den Bratentopf zu inspizieren. Denkste, da war Muttern vor! Vater und seine drei Jungs redeten mit Engelszungen auf die Köchin ein, sie möge doch etwas vom Braten abzweigen. Einmal waren wir damit sogar erfolgreich, aber das war die absolute Ausnahme. Rouladen waren sowieso tabu, aber dieses Mal gab’s zufällig Schweineschmorbraten. Muttern erkannte die Verzweiflung ihrer Bande und irgendwie schmeichelte es ihr wohl auch, wie sehr wir ihre Kochkunst schätzten. Jedenfalls gab sie nach und wir spachtelten munter drauf los. »Dann gibt morgen aber kein Fleisch!«, meinte sie noch, aber da war es schon um den Braten geschehen!
Tja, nachkaufen ging nicht, die Geschäfte machten samstags Punkt zwölfe dicht und TK war noch nicht angesagt! Vor allem mangels Tiefkühler. Man war dankbar über das klitzekleine Eisfach im Kühlschrank, das uns wenigstens Eiswürfel liefern konnte – welch Luxus! Meine erste TK-Pizza habe ich erst im Erwachsenalter gegessen. Überhaupt, Pizza (umgangssprachlich »Mafiatorte«) aßen wir damals noch nicht, italienisch war nur das Eis aus der Eisdiele am Markt. Manchmal spendierte mein Dad von dort Eis für alle. Der schnellste wurde mit einer (vorgekühlten) Schüssel zu »Eis Venezia« geschickt. Dort wurden dann die Kugeln eingefüllt, für meine Mutter gab’s noch Sahne obendrauf und ab ging’s auf kürzestem Wege zurück in die Parkstraße. Dort wurde der Bote bereits sehnlichst erwartet.
Zurück zum Braten – irgendwann bürgerte sich an, dass es gleichzeitig Schweinebraten und Rouladen gab. Vermutlich wegen der oben erwähnten Plünderung. Dann gab’s Sonntags wenigsten noch Rouladen – schlau schlau! Auf jeden Fall gab’s immer nur eins: entweder ein Stück Braten oder eine Roulade. Von wegen krieg ich noch Fleisch, da brauchte man gar nicht erst fragen! Man musste sich entscheiden – Rind oder Schwein! Was tun? Wir Jungs kamen auf den Gedanken zu teilen, halb und halb. Mein Vater fungierte als Obmann und schnitt Roluaden und Bratenstücke in möglichst gerechte Hälften (wir verfolgten das mit Argusaugen).
Der Sonntag war essentechnisch der beste Tag. Zum Frühstück gab’s Brot und Aufschnitt. Und Kuchen, Muttis Marmorkuchen – außen mit brauner Kruste und innen duftend und fluffig! Wenn ich heute Rum- oder Bittermandelaroma rieche, denke ich unwillkürlich immer an Mamas Kuchen! Der wurde übrigens auch bereits am Samstagabend gebacken und auch von dem gab’s machmal ein Probiererle. Der Topf vom Anrühren des Teigs gehörte sowieso mir. »Aber nicht so viel, sonst wird dir schlecht!«, wurde ich stets gemahnt. »Viel fährt der Bauer auf’m Wagen«, gab ich dann zurück. Diese Lebensweisheit hatte ich von meinem Großvater, der niemals Essen umkommen ließ. Selbst das Fett, das wir abschnitten, oder knorpeliges Fleisch (Brrr!) lud er auf seinen Teller und aß alles auf. Wegen der »schlechten Zeiten«.
Zurück zum Sonntagsfrühstück: Es gab auch ein Frühstücksei! Auch ohne Eierkocher schaffte meine Mutter, ein pflaumenweiches Ei zu kochen. Kalt aufsetzen, damit das Ei nicht sprang und am Schluss mit kalten Wasser abschrecken, damit man es leichter schälen konnte. Die leere Schale benutzte mein Vater danach als Aschenbecher. Ernte 23 war seine Marke. Opa rauchte HB, Onkel Erwin die gelbe Reval oder Rothändle. Nach dem ersten Zug, der ihm sichtliches Wohlbehagen verschaffte, gab er das noch brennende Streichholz in die Eischale und alle schauten gebannt zu, wie das Ei von innen heraus leuchtete. Für meine Mutter gab’s Kaffee Haag (koffeinfrei, wegen der Galle), für Papa schwarzen Tee mit Zucker. Für uns Jungs auch Tee, aber mit Zitronensaft und noch mehr Zucker. Komisch, wir wurden trotzdem nicht fett! Vermutlich, weil wir freilaufende Kinder waren.
Was es zu trinken gab? Meistens »Kraneburger«, also Leitungswasser. Oft habe wir das aufgehübscht, besonders im Sommer, wenn’s ins Voerder Freibad ging: Wasser in eine leere Flasche (logisch, in eine volle wäre auch blöd), Zitronensaft, Zucker und etwas Natron dazu, damit’s auch sprudelte. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, Freibad: das war meistens ein Familienausflug. Damit’s erschwinglich blieb, wurde das Essen mitgenommen. Muttern machte ihren Kartoffelsalat mit Mayonaise, Gurkenstückchen, Zwiebel- und Fleischwurstwürfeln. Und frische Bötchen mit Zigeunerfleisch (heute »heißgeräucherter Schweinebraten Balkan-Art«), mein absoluter Favorit! Überhaupt knustprige, frische Brötchen – ein Traum! Anbeißen und das Innenleben rauspopeln. Danach nur noch Kruste, was will man(n) mehr! Überkommt mich heute noch manchmal, aber finde mal knusprige Brötchen! Entweder sind die sonnengebleicht und quietschen beim Essen oder sind furztrocken mit Brandblasen. Manche verwechseln das mit knusprig, weil sie’s nicht besser kennen.
Für’s schnelle Zwischendurch am Tage gab’s die Stulle. Mit »guter« Butter. Was schlechte Butter war, habe ich vergessen zu fragen. »Mama«, riefen wir von draußen ins offene Fenster. Reingehen war zu gefährlich, da lauerten eventuell elterliche Aufträge oder Fragen nach den Hausaufgaben. Wie alle Wildtiere waren wir stets fluchtbereit. »Mama, ich hab‘ Hunger. Machste mir ’n Butterbrot?«. Aufs Brot kam aber nicht nur Butter. Manchmal hatten wir Sonderwünsche. Zum Beispiel taten wir Zucker drauf. War aber nicht nur ne Macke von uns. Mein Freund Stelios erzählte mir viele Jahre später, in Griechenland gab’s für ihn das Gleiche, nur war das Fett ein anderes: Olivenöl statt Butter. Dann gab’s natürlich noch das altbewährte Marmeladenbrot: Frisches Brot, gute Butter und Erdbeermarmelade. Ein echter Seelentröster, Freudenspender oder Lebensretter, je nachdem ob Tränen, Langeweile oder der Hungertod bekämpft werden mussten.
Tja, was noch? Ja, richtig: das Eingemachte stand in jedem Keller! Dazu wurde jegliches Obst vorbereitet und in Weckgläsern eingekocht. Ein großer Topf kam auf den Herd, die mit Weckgummi abgedichteten Gläser in den Topf, Wasser hinein, Deckel drauf und kochen! In das Loch des Deckels kam zum Kontrollieren der Temperatur ein Thermometer, schließlich musste das Obst (oder was man sonst einkochte) steril werden. So gab es das ganze Jahr über Kirschen, Pflaumen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche – die Liste ist zu lang. Meist gab es eingemachtes Obst als Nachtisch. Oder zu Pfannkuchen. Mist, jetzt kriege ich Hunger …
So, da bin ich wieder! Das Einfache war oft … na ja, nicht das Beste, aber lecker: Linsensuppe mit Würstchen; Bratkartoffeln mit Ei (meine Mutter aß Spinat dazu, brrr); gebratener Bauchspeck mit Stampfkartoffeln, obendrauf das ausgelassene Fett und geschmorte Zwiebeln – mmmh. Apropos Fett: damals hatte man noch keine Angst vor Cholesterin. Gab’s vermutlich noch nicht, wir hatten ja nix. Eine Schmalzstulle gehörte genauso zum Ernährungsplan wie Mettbrötchen oder Speckwurst. Holten wir bei der Metzgerei Strangfeld, drüben, über der B8. Ich höre noch heute wie ein Nachbar seiner Frau nachrief, sie solle ja nicht vergessen, ein Stück »N***immel« mitzubringen. Heute undenkbar. War ’ne andere Zeit, damals!
Ein besonderer Genuss waren »Flinsen«. Das sind Kartoffelpuffer, knusprig, in reichlich Fett ausgebacken. Gab’s zu selten, weil anschließend die ganze Bude danach roch. Manche taten Zwiebeln ins Rezept. Bei uns aß man sie mit Zucker oder Apfelmus. Dabei stellten wir gegenseitig Fressrekorde auf. Ich achtete darauf, die kleineren zu bekommen, sonst hatte ich gegen die »Großen« keine Chance. Wir spachtelten bis wir nicht mehr konnten. Ähnlich war es mit Kuchen. So ein Backblech voll Omas Butterstreusel, Apfelkuchen, Kirschstreusel – all das stellte für uns keine große Herausforderung dar. Wir futterten und Oma staunte. Einmal büßte ich ein Blech Pflaumenkuchen später in der Keramikabteilung. Die Hefe war wohl nicht mehr ganz koscher. Egal, wie man sieht, haben wir alles überlebt.
… wird fortgesetzt …