Selbstgemacht: Mode

Eine »Singer«

Wir Kinder waren in puncto Klamotten eigentlich unprätentiös. Bis auf Cornelia Ufermann, die als frühreife Vierjährige meiner Mutter stolz ihre neueste Errungenschaft präsentierte: »Guck mal, Tante (bei uns waren alle Erwachsenen entweder Onkel oder Tante), ich hab ‘nen Petticoat!«. Dabei drehte sie sich auf einem imaginären Laufsteg und ließ ihr Kleidchen wie eine Glocke hin und her schwingen. Ich glaube, dieser Schwung aus der Hüfte und um die eigene Achse ist bei weiblichen Wesen tief in deren DNA verwurzelt – Cornelia war erst vier und woher sollte sie das sonst haben? Wir Jungens standen eher auf strapazierfähiges Zeug, auf das musste man nicht so aufpassen. Für unsere Mütter war es allerdings wichtig, dass wir nicht aussahen wie die Gammler. Und so wurden wir dann ausstaffiert: Socken, Handschuhe, Mützen, Pullover, Pullunder – etliche unserer Kleidungsstücke waren Marke »DIY«. Ob genäht, gehäkelt oder gestrickt, fast jedes Kind hatte was Selbstgemachtes von Mutti, Oma oder Tante.

»Handarbeiten« war nicht nur ein Schulfach, sondern gelebter Alltag. Neben dem Spaß an der eigenen Fertigkeit war das sicherlich auch dem gegenüber heute deutlich niedrigeren Einkommen geschuldet. Für einen Fernseher (Röhre, schwarzweiß) musste man lange sparen, heute kauft man einen OLED-Flatscreen nebenbei. Beim Stricken wurden selbst die Männer eingespannt. »Paul, halt mal die Hände so!«, bestimmte meine Großmutter und hielt dabei ihre Hände abgewinkelt vor den Bauch. Opa Paul tat wie ihm geheißen und streckte die flachen Hände im vorgemachten Abstand zueinander aus. Flugs wurde ein Ring Wolle darüber gelegt, Opas Daumen klemmten die Schlinge fest und für die nächsten Minuten musste er den Wollring unter gleichmäßiger Spannung halten. In einem mir turboartig erscheinenden Tempo wurde nun ein Wollknäuel daraus: Oma nahm den Wollfaden auf, zog immer eine Umdrehung Wolle von Opas Händen und rollte sie flink wie der Wind zu einer Kugel auf. Dies geschah bei meiner Oma in einer meditativ anmuteten, schaukelnden und koordinierten Bewegung von Armen, Händen und Oberkörper. Im gleichen Maße wie Opas Arme ermüdeten, wuchs die Kugel. Ab und an wurde Paul Georg gemaßregelt, wenn er nicht achtsam war und er asynchron wurde. Entweder klemmte er den Faden mit den Daumen ein, wenn er ihn freigeben sollte oder umgekehrt. Frieda musste dann entweder den Faden mit Gewalt befreien oder blieb an besagten Daumen hängen. Tja, Männer sind zwar willig, mit sowas jedoch einfach überfordert – und ein alter Mann ist nun mal kein D-Zug. Im Großen und Ganzen gab’s aber keine Probleme. Wie bereits an anderer Stelle gesagt, war mein Opa von duldsamer Natur.

Danach ging’s ans Stricken. Nein, halt, noch nicht – natürlich musste man sich zuerst auf ein Kleidungsstück einigen, dann auf den Look, dann wurde die Wolle gekauft (oder ein altes Teil aufgetrennt und neu verarbeitet), dann Opa als Wollehalter, und erst dann ging’s los. Ein Wollstrang wurde in der benötigten Länge (wie lang entzieht sich meiner Kenntnis) von der Kugel gerollt und mit einer rasanten, vom menschlichen Auge nicht aufzudröselnden Bewegung um Finger und Stricknadel geschlungen. Sah aus wie »Schweinchen auf der Leiter« und mir war’s damals wie heute ein Rätsel, wer sich so eine komplizierte Technik ausdenken konnte. Noch mehr erstaunte mich, dass Mädchen sowas konnten und Jungs nicht! Zwei links, zwei rechts, eine fallenlassen, Maschen zählen – ich hatte nicht den geringsten Plan, wie das funktionieren sollte. Irgendwann wurde aus der Kugel jedenfalls ein Kleidungsstück. Wenn man Glück hatte, eines das nicht kratzte. Mit noch mehr Glück passte es nicht nur, sondern sah sogar leidlich gut aus. Ich kann mich allerdings an kein gut aussehendes erinnern. Schon komisch, oder? Irgendwelche blöden Liedertexte (sogar solche, die einen nervten) behält man im Kopf, aber selbstgemachte Lieblingsstücke …? Entweder gab’s keine, oder mein Gedächtnis hat sie gestrichen. Egal, jeder hat sicher noch irgendwo Beweisfotos, auf denen er so ein selbstgemachtes Teil trägt.

Halt, einen Produktionsschritt hätte ich fast vergessen: zwischendrin wurde immer wieder mal Maß genommen. Ich weiß nicht, ob wir während des Strickens so schnell wuchsen, auf jeden wurden Länge und Breite des Werks ständig kontrolliert. Egal was man tat, man musste es sofort unterbrechen und antanzen. »Jetzt hampel hier nicht so rum und steh endlich still! Hinterher passt es nicht! Schließlich mache ich das für dich!« So (oder so ähnlich) werden sich wohl manche mütterliche Monologe angehört haben, während wir darauf drängten, schnell wieder raus zu können.

So wenig nachvollziehbar wie Stricken war für mich das Nähen mit der Maschine. Nähen mit der Hand konnte man(n) noch nachvollziehen, aber wie funktionierte so eine Nähmaschine? Man stelle sich vor: du stichst mit einer Nadel in den Stoff, ziehst die Nadel an derselben Stelle wieder raus und der Faden bleibt im Stoff! Wird nicht mit der Nadel wieder rausgezogen! Hä? Das grenzte doch an Zauberei! Vom Zusammenspiel von Ober- und Unterfaden wusste ich damals ja noch nichts. Das Rätsel habe ich (für mich) erst Jahrzehnte später lösen können. Hab dafür extra einen Nähkurs besuchen müssen, Youtube gab’s noch nicht. Die T-Shirts vom Kurs habe ich heute noch – ha, Lieblingsstücke, jetzt fällt’s mir ein: meine selbst geschneiderten T-Shirts, die sind klasse! Und was für eine Qualität, kannze gar nicht kaufen. Trage ich heute noch!

Zurück zu Omas Nähmaschine. Der Nähtisch mit der Singer stand im großelterlichen Schlafzimmer in der Spellener Straße, hinter der Tür, die Mechanik gut geschützt durch einen abnehmbaren, stabilen Holzkasten. Während Oma nähte, saß ich in dem Kasten und spielte Kaperfahrt in der Karibik – lange vor Jack Sparrow! Der schmiedeeiserne Fußtritt trieb das Schwungrad an, der Lederriemen die Antriebsrolle der Nähmaschine und die Singer sang … nein, ratterte. Auch so ein Geräusch, das ich aus hunderten sofort wiedererkennen würde. Und das Klappern der Scheren, schnipp-schnapp! Dazu summte Oma Frieda ein Liedchen vor sich hin – unvergessen und so lebt sie in der Erinnerung für mich weiter: mit Dauerwelle (die wurde beim Schlafen sorgsam mit einem Haarnetz geschützt), nach Kölnisch Wasser und Veilchenpastillen duftend und immer mit einer adretten, weißen Schürze. Die trugen damals alle Hausfrauen. Um die Kleidung zu schonen. Für meine Oma eigentlich gar nicht notwendig. Ich glaube, ich habe meine Oma nie mit schmutzigen Händen oder Flecken auf der Schürze gesehen. Die war vermutlich nicht mal selbst gemacht, es gab immerhin schon Neckermann.

Neckermann macht's möglich
»… macht’s möglich«

Aus Josef Neckermanns Katalog wurde gelegentlich das bestellt, was man nicht bei Magis in Wesel fand. Oder bei Wall in Dinslaken. Was nicht gefiel, wurde zurückgeschickt. Meistens gefiel’s nicht. An den gestylten Katalog-Models wirkten die Teile halt immer besser als am eigenen Spiegelbild. An denen sah noch der hässlichste Lappen gut aus. Am Spiegel lag es jedenfalls nicht. War das Teil tatsächlich mal akzeptabel, war garantiert die Größe falsch. Eine zusätzliche Alternative boten deshalb die Hausierer! Reisende Kaufleute machten Hausbesuche und boten Kleidung und Tuche an. Zum selber schneidern. Schnittmuster gab es Dank Änne Burda. Für mich sahen die Bögen aus wie die Straßenkarten von 10 Städten, die man aus Platzgründen übereinander gedruckt hatte. Auch so ein Rätsel, wie Frauen damit klar kommen. Aber keine Ahnung davon, wie man eine Fernbedienung benutzt. Dafür haben nun wieder Männer ein Händchen. Vermutlich auch genetisch bedingt. Für irgendwas müssen wir Kerls ja gut sein.

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