YEAH! YEAH! YEAH!

Mein Musikgeschmack ist »m/w/d« – mal wirklich divers. Das liegt an meiner sozialen Prägung. Ich musste die Musikrichtungen mehrerer Generationen durchleiden. Von Rudi Schuricke bis hin zu Rammstein war alles dabei. Bei den Capri-Fischern bin ich heute noch textsicher. So wie auf einem Verkehrsschild in Chamonix steht bei meinem musikalischem Repertoire »Toutes directions« – alle Richtungen. Dank an meine Kinder, Großeltern, Brüder, Vater & Mutter: Ihr habt mir ein wahrlich großes Spektrum verschafft!

Angefangen hat es mit einem direkten Nachfahren von unselig Jupps Volksempfänger, einem Loewe Opta namens Meteor. Mit dem durfte man endlich straffrei Feindsend… ahem, ich meine ausländische Sender hören. Das Radio hatte jede Menge Tasten, Drehregler und … DAS »Magische Auge« für das Feintuning bei der Sendereinstellung!

Das Magische Auge.
»Magisches Auge«

Das prangte oben rechts und zog den Blick auf sich. Meine Großmutter war sich sicher, dass man damit beobachtet werden konnte. »Wer ein Auge hat, kann auch sehen!«, meinte sie. Nach den schlechten Erfahrungen mit dem »Dritten« (nein, ich meine keinen Regionalsender) war ihr Mißtrauen nachvollziehbar. Jedenfalls näherte Frieda Neumann sich dem Radio nur vollständig bekleidet. Bei der wöchentliche Wäsche in der Zinkwanne – quer durch die Wohnküche wurde eine Leine gespannt, darüber kam ein Bettlaken – verpasste sie dem »Magischen« sicherheitshalber noch einen Waschlappen als Augenklappe.

Die Sendersuche erfolgte über zwei übereinander angebrachte Drehknöpfe – ein großer und darauf ein kleinerer. Der große für die Grobeinstellung, der kleine für’s Feintuning. Drehte man ihnen, änderte sich die »Pupille«: von Katze zu Eule und zurück. So konnte man die Signalstärke optimieren. Zunächst musste das Gerät jedoch vorglühen. Kannte man vom Diesel, vom Fernseher, vom Orchester und von anderen Dingen – alles brauchte ein Vorspiel. Irgendwann waren die Röhren warmgelaufen und man hörte erste wohlklingende Töne. Oder Rauschen und Pfeifen, wenn die Wetterlage ungünstig war. Manchmal gab’s Überreichweiten und man hörte Moskau. Es gab verschiedene Wellenlängen: Kurzwelle, Mittelwelle, Langwelle, Dauerwelle. Nein, Blödsinn, letztere gab’s beim Jupp Wink in der Bülowstraße. Der war unser Friseur, direkt neben der Drogerie vom Heinz Göllmann. Bei dem gab’s Salmiakpastillen und Urlaubsfotos. Meinen ersten Kinderausweis zierte ein Passfoto vom Heinz. Also jetzt nicht mit seinem Gesicht drauf, schon mit meinem Konterfei, nur aus »dem Heinz sein« (niederrheinischer Genitiv) Labor im Hinterzimmer.

Jupp Wink & Team

Ultrakurzwelle gab’s auch noch. Im Radio, nicht beim Jupp. Bei dem gab’s Messerschnitt, Façon (Fasson). »Na Herr Wink, was macht die Zunft?«, pflegte mein Vater zu fragen. »Ach, Herr Gottaut”, kam sicher die Antwort, »fragen Sie nicht! Bei jedem Kunden lege ich 10 Pfennige drauf – na, dann muss es eben die Masse bringen!«. Klingt nach einer sehr schönen, persönlichen Kundenbeziehung. Kein Wunder, Friedrichsfeld war ein größeres Dorf, jeder kannte jeden. Aber ich schweife ab – zurück zu Omas Radio!

Das stand auf einer Musiktruhe. Man zog eine Klappe auf und ein Plattenspieler erschien: ein wuchtiger Plattenteller, ein elfenbeinfarbener Tonarm, drei Knöpfe für die Umdrehungen 33/45/78: 33 für Langspielplatten, 45 für Singles und die 78er waren Schelllackplatten. Das waren die Sensibelsten, weil zerbrechlich und empfänglich für Kratzer. In der Mitte des Tellers ein kleines Loch, die Aufnahme für einen der beiden Zentrierstifte: der kurze für einzelne Platten, der große für den automatischen Plattenwechsel. Da konnte man dann mehrere Platten übereinander stapeln und in Serie abspielen. Oben drauf kam (als Fixierung und zum Niederdrücken, damit keine Platte hängenblieb) ein schwerer, goldfarbener Metallteller. (Auch das weiß ich noch – ts-ts-ts)

Zum Starten zog man den Tonarm auf seiner Ablage über einenFederwiderstand hinaus nach rechts (toll, wie nach 60 Jahren noch alles präsent ist) und der Teller begann sich zu drehen. Die Nadel musste behutsam auf die Platte abgesetzt werden. Das erforderte Feingefühl, einen Tonarmlift gab es nicht. Ich hab noch das knackende Geräusch im Ohr, wenn die Rille die Nadel einfing. Lustig wurde es, wenn eine falsche Geschwindigkeit eingestellt war, also 33 statt 78. Dann klang Lale Andersens »Blaue Nacht am Hafen« (Mutters Lieblingslied) in Superzeitlupe wie’n Kiffer auf Dope und dazu etliche Oktaven zu tief. Oder umgekehrt, dann gewann Hazy Osterwalds »Kriminal-Tango« merklich an Tonhöhe und Speed und klang wie Micky Maus auf Ecstacy. Manchmal sparten wir uns das Umschalten und bremsten den Teller manuell. Auch »scratchen« testeten wir, lange bevor es das Wort gab – selbstverständlich nur dann, wenn wir allein waren. Erwischen durfte uns dabei keiner, sonst gab’s Schlorre! Meine Brüder hatten eine andere Macke: Marschmusik bis zum Abwinken und dabei grüßend stundenlang um den Tisch marschiert bis zum Zapfenstreich. Jeder ist halt auf seine Art albern.

Irgenwann setzte sich englische Musik durch und da war dann alles dabei: Bill Haley; Roy Orbison; Elvis Pressluft; Rock’n Roll; die Beatles; Chris Andrews; die Stones; Kinks; Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich – man verstand kein Wort, howlte aber phonetisch korrekt mit: »Ei wonna hould jor Händ!«. Dazwischen eingestreut immer wieder mal Peter Alexander, Udo Jürgens und wer weiß wer sonst noch alles. Muttern stand auf Gerhard Wendland (»Darf ich bitten zum Tango um Mitternacht?«), Vatta erkannte Bata Ilic »mit verbundenen Augen« und ich lernte von Mouskouris Nana, dass weiße Rosen aus Athen kamen. Erstaunlich, aber die Texte und Lieder von damals haben sich ins Gedächtnis gebrannt – manchmal habe ich schon vergessen, was ich gerade im Keller wollte, aber an die alten Schnulzen von damals erinnere mich, selbst wenn man mich nachts wecken würde. Ich hab alles mitgemacht und ganz ehrlich: ich möchte nichts missen – okay, Heintje halte ich noch immer für ein Schwerverbrechen an Hörorganen, aber sonst war’s okay.

… wird fortgesetzt …

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